Normalerweise wird hier relativ spontan entschieden, welches Album zur Platte der Woche gekürt wird. Oft führt dies am Donnerstag spät nachmittags zu aufgeregter Betriebssamkeit: „Oh mein Gott, wir brauchen noch ne Platte der Woche – irgend welche Vorschläge?“ Dass „Let Them Eat Chaos“ Platte der Woche wird, stand eigentlich schon in dem Moment fest, als vom Label die Mitteilung kam, dass Kate Tempest ein neues Album rausbringt. Denn dass dieses großartig werden würde, daran bestand bereits nach der ersten Vorabsingle kein Zweifel!
In der Zwischenzeit setzte ein wahrer Hype ein, so dass es uns fast schon unangenehm ist, dass wir ebenfalls auf diesen Zug aufspringen. Nehmt euch einfach mal die Zeit und googelt nach Kate Tempest und ihrem neuen Album. Es würde mich wundern, wenn ihr auch nur eine einzelne negative Kritik findet. Ganz im Gegenteil sind überschwängliche Lobeshymnen der Normalfall. Und womit? Mit Recht.
Dass Kate Tempest mehr Wortkünstlerin als Musikerin ist, dürfte spätestens seit der Veröffentlichung ihrer Debütromans und eines Gedichtbandes bekannt sein. „Let Them Eat Chaos“ ist dementsprechend weniger klassisches Album als musikalischer Roman, in denen ein Song als einzelnes Kapitel zu betrachten ist. Die Themen, die Tempest umtreiben sind dabei stets die selben und stark von ihrem Aufwachsen in den rauen Working Class-Vierteln im Süden der englischen Hauptstadt beeinflusst. Im Protestsong „Europe Is Lost“ zeichnet sie ein „desaströses Bild der europäischen Wirklichkeit“ – und jener in ihrer britischen Heimat. Der Song wurde bereits Ende des vergangenen Jahres veröffentlicht und es ist, als wenn sie den Brexit vorher sieht: „And about them immigrants? I cant stand them. Mostly, I mind my own business. But they’re only coming over here to get rich. It’s a sickness. England! England! Patriotism! And you wonder why kids want to die for religion?“
Auf dem Album kommen insgesamt sieben Protagonisten zu Wort, wobei jeder Song um 4:18 Uhr in der Nacht spielt. „“Mich faszinieren diese paar Stunden vor dem Morgengrauen. Wenn dein Tag nicht deinem Arbeitgeber gehört und auch nicht mehr Teil deiner Partynacht ist. Wenn man um diese Zeit wach ist, in einer großen Stadt, in der man durchweg von Menschen umgeben ist, fühlt man erst wirkliche Einsamkeit“, sagt Tempest in einem Interview mit Deutschlandfunk. In „Whoops“ geht es z.B. um Pete, der die typischen Probleme der aktuellen Generation durchläuft: „He moved away, but moved back living with his dad so he can save. But everytime he gets paid, he gets wasted. And wakes up with less than he made and he hates it. But that´s life, right?“
In ihrem „antikapitalistischen Rundumschlag“ (O-Ton kulturnews.de) hat Tempest eine ganze Menge zu sagen und man sollte sich die Lyrics noch viel genauer anhören als man das vielleicht bei anderen Alben tut. Hingerotzt werden die Lyrics dabei in jenem charmanten Londoner Slang, der unweigerlich an Mike Skinner aka The Streets erinnert. „Let Them Eat Chaos“ ist definitiv ein Album, über das in den kommenden Wochen und Monaten noch viel geredet werden wird und das sich in vielen Jahresbestenlisten wieder finden dürfte.
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